In einem stillen Museum versuchen Menschen, die Spuren anderer zu lesen, um herauszufinden, wer sie waren – die Panamnesier. Wenn alle Panamnesier längst gegangen sind und sich kein lebender Mensch mehr an sie erinnert, was verrät uns dann das Übriggebliebene über ihre Kultur, ihren Glauben und ihre Identität? Das große Puzzle wird man nie ganz zusammensetzen können und während man puzzelt, stellt sich unweigerlich die Frage nach der eigenen Identität. Als Mensch stirbt man gleich zweimal, erst der Körper und dann die Erinnerung an ihn. Das DIPHTHONG Kollektiv, Stephanie Felber und Nikos Konstantakis, lädt uns Zuschauende, in ihrer Theater-Performance Der blinde Fleck, dazu ein, dieser Spurensuche beizuwohnen und die eigenen Erinnerungen wach zu halten.
„Der blinde Fleck ist ein Stück über Identität. In dem Stück selbst geht es viel um die Erinnerung und das Erinnert werden. Wie wichtig ist das Erinnern für die eigene Identität?“
Nikos Konstantakis: Das ist die Frage, die wir uns auch im Stück stellen. Die Panamnesier sind eine Allegorie für die Menschheit. Unsere Identität ist unsere Geschichte. Wir sind unsere Erinnerungen – Lebenserfahrungen und Emotionen und ohne diese Dinge wären wir jemand anderes.
„Kann man, ohne sich zu erinnern, eine Identität haben?“
Nikos Konstantakis: Das ist die Hauptfrage des Stücks. Wenn jemand einen Schlaganfall hat und plötzlich nicht mehr seine Muttersprache verstehen kann, stattdessen eine andere Sprache spricht, ist das dann noch dieselbe Person wie vorher oder wird sie zu jemand anderem? Und wenn ich morgen nach Norwegen auswandere, meinen Namen ändere und versuche meine Erinnerungen zu löschen, bin ich dann trotzdem noch Nikos? Diese Frage zu beantworten ist kompliziert und spannend.
„Es geht auch um das Erinnern an die Heimat. Sie sind ein internationales Team. Was bedeutet Heimat für die eigene Identität? Kann man Heimat definieren?“
Nikos Konstantakis: Ich glaube, darum geht es nicht, sondern um den Menschen. Der Mensch ist das Epizentrum, der Mensch sammelt alle diese Erinnerungen, der Mensch ist das Land und der Mensch ist die Heimat. Das Stück, von Klaus Fehling geschrieben, sammelt Fundstücke und Geschichten der gesamten Menschheit. Wenn wir, als Menschheit, unsere eigenen Erinnerungen ans Licht bringen und sie wirklich wahrnehmen, dann erst sind wir Menschen und haben eine Identität.
„Wie ist es zu der Zusammenarbeit zwischen der ukrainischen Regisseurin Switlana Paitschnyk und dem DIPHTHONG Kollektiv gekommen?“
Nikos Konstantakis: Die Idee zu dem Stück ist bereits vor Kriegsausbruch entstanden, wir von DIPHTHONG wollten das Thema bearbeiten und haben uns dazu mit Klaus Fehling zusammengesetzt. Switlana habe ich im September im Rahmen des Programmes „Kultur hilft Kultur“ des Kulturrats NRW kennengelernt, das geflüchteten KünstlerInnen aus der Ukraine helfen soll, sich im Kulturleben von NRW zurechtzufinden. Ich habe sie drei Monate im Rahmen einer Patenschaft begleitet, sie kam zu meinen Kursen, den Proben, den Vorstellungen und langsam wuchs die Idee einer Zusammenarbeit. Dank der Sonderprojektförderung „Focus Ukrainian Artists“ des NRW Landesbüro Freie Darstellende Künste, konnten wir diese auch umsetzen.
Interview: Ines Langel (Orangerie Theater)
Der blinde Fleck
- Do. 04.05., 20h – Uraufführung
- Fr. 05.05., 20h
- Sa. 06.05., 20h
- So. 07.05., 18h
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