Das zweite Kerzchen brennt, und wir sind schon wieder mittendrin in der Adventszeit. Alles glitzert und funkelt, ein leichter Glühweingeruch liegt in der Luft, und überall wo sonst ein wenig freier Platz ist, wird ein Weihnachtsmarkt aufgebaut. Heiligabend kommt mit großen Schritten auf uns zu, die Kalender quillen über mit privaten und geschäftlichen Weihnachtsfeiern, und das Stresslevel der Menschen steigt kontinuierlich, denn die letzten Geschenke fehlen immer noch. Schade eigentlich. Normalerweise sollte das Fest der Liebe doch eher etwas Schönes, nicht allzu Stressiges sein, oder?
Für mich persönlich bedeutet die Adventszeit in erster Linie: Arbeit. Ich stehe nahezu jeden Tag – bis auf zwei Bühnenfreie Tage – auf den Brettern, die für mich die Welt bedeuten. Klar, das ist natürlich auch Stress, aber ich liebe es so sehr, dass ich das machen darf. Ein absolutes Privileg. Das sage ich immer wieder, und an dieser Stelle wiederhole ich mich auch gerne. Gerade in der ruhigeren Zeit, kann ich mich als Liedermacher vollends entfalten, habe Zeit für ausführliche Moderationen, und kann auch mal Songs spielen, die sonst selten auf der Setliste stehen.
Foto: Rebecca Schindler
Aber natürlich dürfen auch die „klassischen“ Weihnachtslieder nicht fehlen, was immer zu lustigen Situationen führt. Denn so ganz textsicher sind nicht immer alle Leute. Die erste Strophe klappt meistens noch, aber dann wird es oft auch schnell leiser und verhaltener. Zum Glück gibt es ja Texthefte bei meinen Mitsingkonzerten, wenn auch nicht immer unbedingt alle Texte darinstehen.
Jedenfalls erwische ich mich oft bei dem Gedanken, dass man bei einigen Weihnachtsliedern vielleicht mal ein kleines Update machen sollte. Es wäre doch viel sinnvoller heutzutage zu singen „Leise rieselt der Schnee wieder nicht“ oder „In der Weihnachtsbäckerei ist jetzt alles laktosefrei“ oder so. Aber das machen wir natürlich nicht, Traditionen und lang Gelerntes wollen wir ja nicht auf den Prüfstand stellen.
Überhaupt sind doch Traditionen das, was Weihnachten ausmacht. Die Großmutter, die im höchsten Sopran am heiligen Abend zum leicht schrägen Blockflötenspiel des – mehr oder weniger – dazu gezwungenen Enkels singt. Der Großvater, dem der Anzug langsam etwas spack wird, weshalb spätestens nach der Hauptspeise heimlich der Hosenknopf geöffnet werden muss, und die – farblich nicht ganz so zum Rest passenden - Hosenträger Jahr für Jahr mehr aufs Äußerste gespannt werden, und drohen, jederzeit ins Dessert zu flitschen. Seinen Augen entnimmt man die quälende Frage, wann man denn nun jetzt das erste Schnäpschen trinken könne. Die aufgeregten, völlig überdrehten Kinder, die gestressten Eltern – zwischen einerseits Menü und Küche, und andererseits gefühlter 3687 Playmobilteilchen, die wohl irgendwann das gallische Dorf von Asterix & Obelix ergeben sollen.
Am Ende ist es doch immer wieder das Gleiche, oder? Und am Ende ist es doch auch ebenso immer wieder schön. Was wäre Weihnachten ohne all die Erinnerungen, die vermutlich jede(r) Einzelne von uns hat?
Es ist so schön, jeden Abend von der Bühne aus zu beobachten, wie die verschiedensten Generationen zusammenkommen und gemeinsam genau diese Lieder singen, die diese Emotionen und Erinnerungen wecken und am Leben halten. Für mich ist es ein Segen. Und am liebsten würde ich es machen, bis ich selbst irgendwann den Knopf an der Hose beim Hauptgang öffnen, und die Rolling Stones-Hosenträger etwas weiten muss, während ich mich auf ein leckeres Verdauungsschnäpschen freue. Dafür, dass das hoffentlich soweit kommt, gebe ich alles. Ich gebe viel – aber ich bekomme auch so unfassbar viel zurück. Das ist für mich Weihnachten.
Habt es schön, eine schöne Adventszeit, frohes Fest und wir lesen uns im neuen Jahr wieder! Danke für eure Treue!
Üre Björn