Der Rhein ist für mich so etwas, wie meine Lebensader. Noch heute ist es so, dass es einen bestimmten Ort am Rhein gibt, den ich immer wieder aufsuche, wenn es mir nicht gut geht. Oder auch, wenn es mir besonders gut geht. Jedenfalls immer dann, wenn etwas Besonderes in meinem Leben passiert.
Dort war ich mit meinem Opa als Kind oft, er erzählte dann immer, wie sein Leben als Seemann war und was er auf den sieben Weltmeeren mit der Marine erlebte. Vermutlich habe ich von ihm die große Liebe geerbt, am Wasser zu sein. Dort war ich stundenlang mit meiner ersten großen Liebe, unter anderem packte ich mein allererstes Handy mit ihr genau an dieser Stelle aus, und wir klickten uns durch die sage und schreibe fünf (!) verschiedenen Klingeltöne. Lange vor Jamba und Co. Dort ging ich vor zehn Jahren entlang, als ich zu Fuß auf dem Weg zum Standesamt war, um meine heutige Frau zu ehelichen. Dort war ich oft in der Zeit, als ich meine beiden Eltern verloren habe. Und dort bin ich heute regelmäßig mit meinem Sohn, der den Rhein ebenso liebt. Irgendwann sitzt er vielleicht dort, wenn ich nicht mehr auf der Welt bin, denkt an seinen Vater, seinen Opa und seinen Urgroßvater, den Seemann, den er leider nie kennenlernen konnte.
Vielleicht ist es das, was diese Reise, die ich gerade erleben darf, so besonders macht. Erstmalig bin ich auf einem Flusskreuzfahrtschiff unterwegs, und fahre den Rhein hinauf bis Amsterdam, wo ich ein Konzert an Bord des Schiffes geben werde. So nah war ich meiner Lebensader bisher noch nie für so lange Zeit. Ich sitze seit Stunden hier in meiner gemütlichen Kabine, schaue einfach hinaus auf das Wasser, und gelange fast schon in einen meditativen Zustand, der immer wieder neue Bilder, Erinnerungen und Gedanken aufploppen lässt.
Foto: © Björn Heuser
Ja, der Rhein ist für drei Tage mein Zuhause. Verrückt!
Ab und zu fahren Containerschiffe vorbei, und ich frage mich, welche Geschichten hinter den einzelnen Menschen stecken, die man an Bord erblickt. Ein Leben auf dem Wasser bringt sicherlich einige spannende Anekdoten mit sich. Aber oft passiert auch einfach nichts, man schaut über das Wasser ins Grüne, sieht die wundervollen Farben des Herbstes, kann tief einatmen und die Ruhe des plätschernden Wassers genießen.
Ist genau dieses Gefühl des „leichten unterwegs sein“ das „Ankommen“, nach dem ich schon so lange strebe? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ich schon immer lieber irgendwo losgefahren, als angekommen bin. Vermutlich bin ich gerade deshalb im Moment so zufrieden und glücklich, wenn ich aus meinem weitgeöffneten Fenster schaue.
An Bord sind ein paar hundert Menschen, die mit mir gemeinsam Köln im Sonnenschein verlassen haben, sich prächtig an Bord amüsieren, freundlich nach Selfies fragen und ihren Urlaub genießen. Nach der ersten Nacht werden wir wach in Amsterdam, einer wundervollen Stadt. Diese wird erkundet, erlebt und besichtigt, bevor ich am Abend nach dem Captains Dinner auf der Bühne stehen werde. „Drink doch eine met“, so wird das erste Lied lauten, und ich bin sicher, dass es nicht lange dauern wird, bis das Schiff nicht nur wegen der Strömung von links nach rechts schunkelt. Und dann werde ich dort stehen, das „Mitsingjeföhl“ genießen, und meine Augen werden so funkeln, wie immer, wenn ich das machen darf, was ich so liebe. Ab und zu werde ich einen Blick auf den Rhein werfen, und an meinen Opa denken: „Heidewitzka, Tünn, jetz han ich et och jeschaff un ben (fast) Kapitän!“
Ja, lieber Vater Rhein, ich bin gerne bei dir Zuhause. Danke für alles!
Üre Björn